Transkript - Leben im Ausland, Teil 1
Inga: Du sprichst Deutsch und Italienisch?
Noah: Ja.
Inga: Sag mal was auf Italienisch.
Noah: Ciao!
Lisa: Hallo und herzlich willkommen zum spoken german podcast. Mein Name ist Lisa, ich bin Deutschlehrerin und ich möchte euch mit diesem Podcast helfen, euer Hörverständnis zu trainieren. In dieser ersten Folge zum Thema erzählen euch meine Schwestern Inga und Wibke und meine Freunde Leo, Christina und Erik von ihren Auslandserfahrungen. Ich habe sie gefragt, wo sie gelebt haben, was ihnen dort gefallen hat, was ihnen nicht so gefallen hat und welche kulturellen Unterschiede sie festgestellt haben. Eben habt ihr meine Schwester Inga und meinen Neffen Noah gehört. Jetzt erzählt euch Inga, an welchen Orten sie bisher gewohnt hat, was ihr an ihrem jetzigen Wohnort Italien aufgefallen ist und was sie aus Deutschland vermisst:
Inga: Ich hab in verschiedenen Ländern gewohnt. Ich hab in Polen gewohnt, ich hab in Italien in verschiedenen Städten [gewohnt] – Rom und Florenz, Oderzo und jetzt wohn ich in Arezzo. Ich hab in Portugal kurz gewohnt, ich hab in England gewohnt, in Deutschland natürlich. Am wenigsten gefallen hat es mir damals in Portugal. Das war aber nicht wirklich die Schuld des Landes oder so, es war einfach 'ne schwierige Zeit für mich damals, mir ging’s nicht so gut und dann hätte mir, glaub ich, kein Ort so wirklich gefallen. Und ich hab mit vielen Leuten zusammengearbeitet, die eigentlich sehr nett waren, aber da waren viele so Partyleute dabei, die dann die ganze Zeit nur rausgehen wollten und sich betrinken. Ich hab mich danach nicht mehr gefühlt, das war nicht mehr das, was mir gefallen hat. Ich war dann auch schon über 30 und dann hab ich gedacht, nee, das brauch ich jetzt nicht mehr. Deshalb hat’s mir da nicht so gut gefallen. Und am besten hat es mir in Italien gefallen, weil die Italiener… Auf manche Art und Weise halten sie sich nicht an Regeln und sind sehr emotional manchmal und die Politik ist furchtbar. Aber die Italiener lassen einen machen, was man machen will. Und es hilft mir, deutsch zu sein, in vieler Hinsicht, weil die Italiener die Deutschen mögen. Die schätzen an den Deutschen ihre Pünktlichkeit und dass sie fleißig sind und organisiert und nicht so laut, und genauso, glaub ich, gefällt es den Deutschen auch an den Italienern umgekehrt, dass sie lauter sind und das Leben lieben und nicht immer alles so genau nehmen. Ich glaub, die Deutschen und die Italiener ergänzen sich ganz gut.
Lisa: Hast du noch andere kulturelle Unterschiede festgestellt?
Inga: Frauen werden anders gesehen und verhalten sich auch anders. Also wenn man zum Beispiel Mutter ist, [das] ist ganz seltsam. Also, man hat so diese Rolle der Mutter und als Mutter ist man dafür da, die Erziehung des Kindes zu machen und sich aber gleichzeitig auch noch so’n bisschen um den Mann zu kümmern, und man ist meistens leider auch immer noch fürs Essen zuständig – jetzt bei mir nicht, weil mein Mann viel besser kocht als ich und der liebt es auch zu kochen, ich hasse das wie die Pest – aber die Mutter ist so das Herz der Familie und sie ist dafür zuständig, dann auch streng zu sein mit den Kindern, die Regeln aufzustellen, und die Männer sind mehr so dafür da, mit dem Kind Spaß zu haben und Blödsinn zu machen, die nehmen es nicht so genau mit den Regeln so, und hier die Frauen sind natürlich meistens sehr gepflegt, und viel geschminkt und gestylt und so, hohe Hacken, und da passt das dann nicht so dazu, mit dem Kind so wild zu toben oder so. Also, ich werd schon manchmal komisch angeguckt, weil ich mit Noah rumlaufe und dann hab ich den auf den Schultern, das macht hier… also, [das] hab ich hier, glaub ich, noch nie ne andere Frau machen sehen. Das machen nur Männer. Ich hab eine Freundin, die ist Italienerin, die ist in Sachen Kindererziehung das totale Gegenteil von mir. Also, sie sagt, was ich mit dem Kind mache, das ist so bei ihr in der Familie… dafür ist der Mann zuständig. Aber der Vorteil ist, wenn man dann halt Ausländer ist, ich hab das Gefühl, dann denken die so: Ach ja, okay, sie ist halt deutsch, dann ist es halt anders. Dann wird’s halt anders gemacht. Ich glaub, wenn ich so wär', wie ich bin, wär' aber auch Italienerin, dann würd' ich schon sehr viel mehr kritisiert werden.
Was ich aus Deutschland vermisse, ist, dass es so leise ist. Hier in Italien ist es manchmal sehr, sehr laut. Also, wenn man in ein Restaurant geht oder in ein Café, da ist ein Lärmpegel, also, da kann man sich manchmal gar nicht unterhalten. Ich mag es in Deutschland, dass es da relativ leise ist. Was ich nicht mag in Deutschland, ist: Kinder werden kaum angesehen. Wenn man die Straße langgeht und man hat ein Kind dabei, das wird meistens ignoriert, das Kind. Auch wenn sich Erwachsene unterhalten, wird das Kind meistens ignoriert. Also, das ist hier schon ein bisschen anders. Wenn ich irgendwo hingehe, mit Noah, wird immer ein Kommentar gemacht: „Och, was bist du süß!“ Oder: „Wie geht’s dir denn?“ Also, das Kind wird auch immer mit einbezogen.
Aber aus Deutschland sonst… Also ist eher so manche Sachen zu essen, die ich vermisse. dm [deutsche Drogeriekette] vermiss ich. Und sonst vermiss' ich natürlich meine Eltern, die vermiss ich schon.
Lisa: Hier ist Leo:
Leo: Ich lebe in Irland, in Dublin, seit sechs Jahren jetzt, und wie bin ich hier gelandet? Natürlich Beziehung und Liebe, wie es bei den meisten Leuten so ist. Und weil mir die Stadt selber halt einfach sehr gefallen hat.
Lisa: Leo erzählte mir, wie er als Kind keinerlei Interesse am Reisen gehabt hatte, er aber dann durch seine erste Auslandserfahrung, einer Klassenfahrt nach Schottland, stark geprägt wurde, so dass er nach seinem zweiten Jahr an der Berufsschule die erste Gelegenheit ergriff, für eine Weile ins Ausland zu gehen:
Leo: Schottland war halt so klasse. Alles ist irgendwie so anders, die Leute verhalten sich anders, und da hat‘s halt bei mir auf einmal so Klick gemacht, und dann wollte ich auf einmal unbedingt anfangen zu reisen.
Am Ende der zwei Jahre, also wenn du deinen Abschluss gemacht hattest, konntest du dich quasi drauf bewerben, [ein] halbes Jahr in Nordirland zu leben und zu arbeiten, einfach nur für Arbeitserfahrung. Mein Gedanke war so, „ja, Schottland und Irland sind ja nicht sehr weit voneinander weg, kann ja nicht so anders sein! War genau mein Gedankengang. Und dann hab ich mich halt entschieden, mich darauf zu bewerben, und das war halt wirklich die beste Entscheidung, die ich bisher [treffen] konnte. Und als ich dann in Nordirland war, war ich halt auch Single gewesen, und hatte dann halt angefangen, mit jemandem zu schreiben, und haben dann wirklich von den sechs Monaten fast fünf Monate lang geschrieben, haben uns dann ganz am Ende meiner Zeit dann hier getroffen. Und dann hatten sich halt Sachen entwickelt, beziehungstechnisch, Gefühle hatten sich entwickelt, und dann hatte ich zwei Jahre lang noch in Deutschland gearbeitet und hab dann gesagt, „okay, das macht so keinen Sinn mehr, ich muss jetzt einfach rüberkommen“. Und für mich war das wahrscheinlich der größte Schritt, den ich in meinem Leben bisher gemacht hab, weil ich niemals gedacht hätte, dass ich irgendwann mal im Ausland leben würde.
Lisa: Was sind die kulturellen Unterschiede, die du so festgestellt hast, zwischen Irland und Deutschland?
Leo: Offenherzigkeit ist hier wesentlich mehr gegeben. Ich fühl mich hier wesentlich wohler als in Deutschland komischerweise, und ich will Leute nicht in 'ne Schublade stecken, aber ich find' deutsche Leute sehr ernst…
Lisa: Ein bisschen reservierter, ne? Ein bisschen verschlossener.
Leo: Ja, verschlossener, nicht sehr offenherzig, man kann sich nicht irgendwie im Bus neben jemanden setzen und einfach mal 'nen Gespräch anfangen, weil die Leute dich dann anschauen, als wärst du verrückt. Es gibt sehr viel Positives in Deutschland, versteh mich nicht falsch, aber ich fühl' mich hier mittlerweile mehr zuhause als in Deutschland. Selbst dafür, dass es hier sehr schwierig ist zu leben momentan. Es ist sehr teuer, die Gebäude sind oftmals entweder total neu renoviert und deswegen sehr teuer, oder kalt, sehr alt, und du musst halt Unmengen von Geld reinstecken, um Sachen hier zu renovieren. Also, was die Mieten und die Wohnsituation hier momentan angeht, ist 'ne absolute Katastrophe, und da gibt’s nix schönzureden. Wir haben halt auch so 'ne hohe Anzahl von Obdachlosen, einfach weil es sich die Leute nicht leisten können, hier zu leben, zum Arzt zu gehen, zum Zahnarzt zu gehen, … Ja, klingt jetzt alles sehr negativ, aber…
Lisa: Was findest du am allerbesten an Irland, abgesehen von der Offenherzigkeit der Leute?
Leo: Wir sind hier immer am Meer, [du] hast immer Küste, fast überall, wo du hingehst, es sei denn, du bist wirklich in der Mitte des Landes. Aber für mich ist es wirklich einfach nur die Mentalität der Leute hier. Dublin selber find' ich halt einfach gut, weil es für mich nicht zu groß und nicht zu klein ist. Aber wenn ich dann mal Leute hier habe, die zu Besuch kommen, und man überlegt dann, was man machen kann, fällt einem nicht sehr viel ein. Also. wenn du nicht trinkst oder nicht an Sport interessiert bist, oder an Natur, dann gibt’s hier eigentlich gar nicht so viel, was du machen kannst. Oder Museen, aber...
Lisa: Es gibt auch gute Buchläden in Dublin!
Leo: Das mein' ich halt, also ich glaub', es kommt wirklich drauf an, was deine Interessen sind, was du gerne machst. Und wenn man hier etwas länger lebt und relativ sozial ist, findet man hier auch überall so diese kleinen Clubs und Ecken und alles, wo Leute sich treffen. Es ist 'ne sehr kreative Stadt, find' ich, was mir sehr gefällt.
Lisa: Hier ist Christina, die auch schon seit einigen Jahren in Irland wohnt, aber eine etwas andere Erfahrung gemacht hat als Leo:
Christina: Also, liebe Lisa, ich habe in Irland gewohnt, wo wir uns kennengelernt haben, in Cork, das ist im Süden, und ich bin nach Irland [gezogen], weil meine Mutter dachte, dass es ne tolle Idee ist, doch einfach mal nach Irland zu ziehen. Also, ich wusste nicht, was ich machen wollte, in Deutschland, hab grad meine Ausbildung zu Ende gemacht, wollte halt definitiv da nicht weiterarbeiten, und wusste halt echt nicht, wo ich hinsoll. Und ja, dann hat meine Mutter das, wie gesagt, vorgeschlagen, weil bei uns im Dorf da halt eine das auch gemacht hat und dann bin ich halt nach Irland gekommen. Nach nem Jahr wusste ich immer noch nicht, was ich machen soll, und deswegen bin ich hier geblieben. Ja…
Lisa: Okay, aber jetzt bist du ja in Galway, ne?
Christina: Ah ja, genau, und jetzt bin ich in Galway, genau, jetzt studier ich. Und bin aus Cork weg. Ich vermisse Cork ganz doll und alle meine Freunde da.
Lisa: Und was gefällt dir besonders an Irland? Was ist besser als in Deutschland?
Christina: Das Wetter! Äh, also, ich würd' nicht sagen, dass es mir hier besser gefällt, ich steck halt nur gerade im College fest und will dann danach eigentlich so schnell wie möglich weg hier. Nee, aber Irland ist ein wunderschönes Land… um Urlaub zu machen. Um zu leben, vielleicht weniger. Also, [es] sieht wirklich so aus wie in den Bilderbüchern, alles grün und Schafe und Pubs und Live-Music, und klasse, aber, wie gesagt, zum Leben… Also das Gesundheitssystem… Ich glaub, das ist das, was mich am meisten stört, das Gesundheitssystem und… also, Umweltbewusstsein ist hier so gut wie gar nicht vorhanden, hab ich irgendwie das Gefühl. Und das regt mich halt auf. Ich bin’s halt von Deutschland gewohnt, dass man Sachen recycelt, und das Bewusstsein einfach für die Umwelt… Also, zumindest kam es mir so vor, wo ich noch da gewohnt hab, vor zwölf Jahren.
Lisa: Wo würdest du gerne als nächstes hinziehen? Gibt es einen bestimmten Ort?
Christina: Island wahrscheinlich. Also, ich war ja jetzt letzten Sommer dort, fünf Monate, und hab da gearbeitet. Also, den Job fand ich toll, die Leute waren toll, und oh, es gibt da Bäckereien, in Island! Das ist noch was, was es hier halt irgendwie gar nicht gibt. Ja, also ist komplett anders als Irland, obwohl die Trinkmentalität ist sehr ähnlich. Also, man trinkt da auch sehr gerne, sehr viel. Aber ja, also von der Landschaft her, ist halt einfach wie Irland, ein bisschen, aber wilder.
Lisa: Hast du so was festgestellt, direkt als du nach Irland kamst, also fandest du die Leute irgendwie anders?
Christina: Also, ich find’s schwieriger, hier Freundschaften zu schließen mit den Iren selber. Also, man lernt die Leute superleicht kennen, wie gesagt, im Pub oder auf der Straße sind alle immer superfreundlich, aber richtig Freundschaften zu schließen mit Iren fand ich am schwierigsten. Also nach zwölf Jahren hab ich eine richtige Freundin, die ich vor zehn Jahren kennengelernt hab, die halt Irin ist, und in meiner Au-Pair-Familie, bei der ich nen Jahr lang war. Aber ansonsten… Also, ich kenn viele Leute, aber Freundschaften sind das halt alles irgendwie nicht so. Aber vielleicht bin ich da halt auch 'ne Ausnahme, ich weiß es nicht, aber das war meine Erfahrung.
Lisa: Gibt’s irgendwas, also abgesehen von vielleicht den Bäckereien, gibt’s irgendwas, was du immer aus Deutschland vermisst?
Christina: Meine Familie – zählt das?
Lisa: Ja klar!
Christina: Äh, Jahreszeiten. Ich vermisse Schnee, was ich in Island halt auch hatte, und wir hatten da halt auch 'nen richtig geilen Sommer letztes Jahr. Ja, das ist halt was, was mir fehlt.
Lisa: Hier ist Erik, der aus Oregon kommt, aber mehrere Jahre lang in Deutschland gelebt hat:
Erik: Ja, ich war knapp drei Jahre in Deutschland, nachdem ich mein Studium abgeschlossen hatte und ich wollte schon immer nach Deutschland ziehen. Und die Sprache gefällt mir und die Deutschen sind auch ganz… Die Deutschen sind…
Lisa: Wie sind die Deutschen?
Erik: Also, die Amerikaner sind meistens sehr freundlich und die Deutschen muss man erstmal kennenlernen, ne? Ich mag die Ordnung in Deutschland und die Pünktlichkeit, obwohl die Deutsche Bahn nicht pünktlich ist. Das deutsche Brot, das Essen, also Sauerkraut liebe ich, ja, das Brot, ich liebe den Kaffee, und ja, die Landschaften.
Lisa: Was hat dir nicht so gefallen, abgesehen vielleicht von der garstigen Art der Deutschen? Ich mein, darüber kannst du auch gern sprechen.
Erik: Ja, die Deutschen sind sehr, sehr, sehr direkt. Und ich dachte… das war, bevor ich nach Deutschland umgezogen bin, dachte ich, ja, okay, wir Amerikaner, wir sind auch sehr direkt, und dann hab ich die Deutschen kennengelernt und da hab ich gesehen, dass die Deutschen noch direkter sind als die Amerikaner. Aber ich finde das eigentlich auch gut. Es kann sehr anstrengend sein, weil sie sehr direkt sind, ne, und sagen einfach alles. Aber dann, auf der anderen Seite, ist es gut, weil sie ganz ehrlich sind. Die Amerikaner, sie wollen andere Leute nicht beleidigen. Wenn man aus einem englischsprachigen Land kommt… ja, wir sind alle ziemlich freundlich, ne, und vielleicht werden wir einfach nicht immer die Wahrheit sagen.
Lisa: Kannst du noch kurz beschreiben, warum du schon immer interessiert warst an deutscher Kultur?
Erik: Ja, also, ich hab ja deutsche Wurzeln. Also ja, deutsche Abstammung. Ich hab Geschichten von meinem Opa als Kind gehört. Seine Mutter, also meine Urgroßmutter, kam aus Deutschland, und ja, er hat mir als Kind ganz viele Geschichten erzählt von Deutschland und als ich neun – nee, acht – Jahre alt war, bin ich mit meiner Familie nach Europa gereist. Wir waren in verschiedenen Ländern, aber Deutschland hat mir am meisten gefallen.
Lisa: Nun zu meiner Schwester Wibke:
Lisa: Du hast ja schon in sehr, sehr vielen Ländern gewohnt und hast mich ja auch inspiriert. Ich glaube, wenn du mir das nicht vorgelebt hättest, wär ich wahrscheinlich nie ins Ausland gegangen. Ja, erzähl uns mal!
Wibke: Ich hab, bis ich 19 war, in Deutschland gewohnt und hab da mein Abitur gemacht. Und danach bin ich nach Israel gegangen, für etwa insgesamt neun Monate, und hab da [in] einem Kibbuz gelebt. Dann bin ich in Schottland studieren gegangen, in St. Andrews. Im dritten Jahr des Studiums bin ich nach Italien gegangen und hab in Bologna ein Jahr studiert, in einem Erasmus-Sokrates-Austausch. Danach bin ich wieder zurück nach Schottland. Nach Schottland war ich drei Monate in [den] USA, dann hab ich 'ne Weile in Italien gewohnt und da gearbeitet und hab dann in Sheffield, in England, Jura studiert. Dann hab ich in Genf gelebt, ein Jahr, und dann bin ich erstmal nach Tansania gegangen, da hab ich ein Praktikum gehabt, das wurde dann hinterher zu einem Job. Nach dem Jahr in Tansania dann in Bosnien, in Sarajevo, für zwei Jahre. Danach zurück nach England, nach London für ein Jahr, wo ich noch mein Jurastudium – das praktische Studium – vollendet hab. Und danach bin ich dann nach Australien gegangen, und seitdem wohn' ich in Australien. Also seit den letzten zehn Jahren.
Lisa: Welcher Ort hat dir am besten gefallen und warum?
Wibke: Also irgendwie… Alle Orte haben mir auf verschiedene Art und Weise gefallen. Die waren ja auch alle sehr verschieden. Allgemein am besten hat mir wahrscheinlich mein Jahr in Bologna gefallen. Also das Leben da, die Menschen einfach sind total aufgeschlossen, man lernt unheimlich schnell Leute kennen, auch die Kultur, also es war unheimlich viel los. Ich hab mit sieben anderen jungen Leuten zusammengewohnt. Da war ein Australier, ein Franzose, drei Schwedinnen, drei andere Deutsche. Und das hat halt auch unheimlich viel Spaß gemacht. Das war einfach toll, das Jahr. Und Israel hat mir auch sehr gut gefallen. Damals war es natürlich anders als es jetzt ist. Als ich da war – das war 1995, 96 – damals war die Mauer noch nicht da. Also es war sehr viel einfacher, zum Beispiel in die West Bank, ins Westjordanland, [zu] fahren. Man konnte einfach von Jerusalem aus nen Trip zum Beispiel zum Toten Meer buchen. Da ist man mit so’m Minibus frühmorgens losgefahren, nach Masada, danach zum Toten Meer, und dann auch in ein palästinensisches Dorf, oder Stadt, wo wir [zu] Mittag gegessen haben. Also alles war sehr viel offener, da war so 'ne Atmosphäre der Hoffnung. Am schwierigsten war es wahrscheinlich in Tansania. Die Menschen da waren auch sehr aufgeschlossen, und eigentlich auch relativ fröhlich eigentlich, trotz der Armut und den ganzen anderen Schwierigkeiten, die die Menschen da ertragen müssen – Malaria und so weiter. Aber [es] war schon auch schön, da zu sein. Und ich war eine Woche in Ruanda, einerseits [ein] wunderschönes Land. Sehr hügelig, im Gegensatz zu Tansania, das ja sehr flach ist und irgendwie trockener. Ruanda, da ist grüner, sehr viel Gras, Wälder, Hügel, und in der Hinsicht ein unheimlich schönes Land. Aber schon, irgendwie, liegt so 'ne Art Trauma halt auf dem Land, so 'ne Traurigkeit, die man richtig spürt, wenn man da durchfährt. Also man kommt an Leuten vorbei, die einfach nur am Rand der Straße sitzen und in die Gegend starren und sich nicht bewegen. Also ist schon sehr tragisch. Die haben auch die Orte alle, „memorial sites“… Gedenkstätten für die Leute, die halt damals umgekommen sind, die ermordet worden sind während des Völkermords. Zum Beispiel ist da eine Schule, und da liegen die Köpfe der Toten, und dann dieser süße Geruch, der dann von diesen Knochen ausgeht. Also, das ist schon, also sehr… also ist schon ganz schön schrecklich, wenn man das sieht. Bosnien – man merkt, dass die Konflikte immer noch da sind. Andererseits, was mir sehr gut daran gefallen hat, ist diese Verschiedenartigkeit, also die Vielfalt der Kulturen. Da, wo ich gewohnt hab, das war in der Altstadt, hat man morgens sowohl die Kirchenglocken läuten gehört als auch den Muezzin, der in der Moschee zum Gebet aufrief. Und dann teilweise auch verschiedene Essensgewohnheiten und so. Also das fand ich schon toll. England gefällt mir immer noch sehr gut, ich fühl' mich da irgendwie zuhause, vielleicht, weil ich in Großbritannien insgesamt fünf Jahre verbracht hab. London ist halt auch 'ne sehr multikulturelle Stadt. Australien – also die Australier gefallen mir gut, sehr freundlich, aufgeschlossen, also man findet leicht Freunde eigentlich. Perth ist auch ne sehr schöne Stadt. Man ist direkt am Meer, was ich total schön finde, die Strände sind natürlich wunderschön. Das Problem ist, dass es sehr weitab [vom Schuss] ist, also sehr weit weg von allem, man kommt nicht mal eben so schnell woanders hin.
Lisa: Und was vermisst du an Europa?
Wibke: Europäische Kultur. Ich bin natürlich mit europäischer Kultur aufgewachsen und das hat mich auch immer fasziniert, ich hab am Anfang, bevor ich Jura studiert hab, hab ich Geschichte studiert, und Philosophie. Und auch die Tatsache, dass man von einem Land mit 'ner eigentlich sehr verschiedenartigen Kultur in ein anderes Land so schnell kommen kann.
Lisa: Welche kulturellen Unterschiede hast du so festgestellt?
Wibke: Also in Italien, was mir aufgefallen ist, im Gegensatz zu vielen anderen Ländern, ist, dass die Leute halt total aufgeschlossen sind und unheimlich gerne mit einem reden und auch so’n bisschen emotioneller sind. Ja, also man kann zum Beispiel in ein Geschäft reingehen und man fängt an, [sich] mit jemandem zu unterhalten und ist dann auf einmal ne Stunde da, was mir eigentlich in anderen Ländern weniger passiert ist. Also, das find' ich unheimlich toll. Die Engländer, vielleicht ein bisschen reservierter, aber unheimlich höflich, also in England zum Beispiel, ich weiß noch, ich bin mit der Underground [gefahren], da hatte ich irgendwie 'nen großen Koffer dabei, und sofort… Also ich musste den kein Stückchen alleine tragen, es waren immer irgendwelche Leute, die mir geholfen haben, unheimlich hilfsbereit. An den Unis hat mir auch gefallen, dass man mit den Professoren… mit Vornamen die angesprochen hat, und man kann da jederzeit vorbeikommen, während in Italien war’s sehr viel schwieriger, mit den Professoren irgendwie in Kontakt zu kommen, die hatten irgendwie so’n höheren Status und da musste man immer erst 'nen Termin machen. In England und Schottland war das total einfach. Ja, die Deutschen, empfind' ich so, sind sehr viel direkter und manchmal auch unhöflicher als andere Kulturen. Also in Deutschland sind die Leute auch oft unzufrieden, hab ich so den Eindruck, [es] wird unheimlich viel sich beschwert, über alles wird sich lamentiert, alles ist irgendwie ein Problem. Die Israelis sind auch sehr direkt. Und was mir in Israel auch aufgefallen ist, [ist,] dass da ne unglaubliche Hilfsbereitschaft ist. Als ich in einem Bus war und ich wusste nicht, wo ich aussteigen musste, und ich hab einen gefragt, und der hat dann mit mehreren anderen Leuten diskutiert, wie ich am besten da hinkomme. Aber es ist dann auch die Erwartung da, dass man ihnen irgendwie vertraut. Das hab ich zum Beispiel gemerkt, als ich mit ner Freundin [hinreiste]. Wir kamen im Busbahnhof an, da kam so’n junger Mann, der hatte einen Minibus dabei, und der meinte dann: „Oh ja, ja, ich arbeite für eine Jugendherberge und ihr könnt mit mir kommen.“ Und meine Freundin: „Oh nein, wir können nicht in den Bus einsteigen, wir kennen den doch gar nicht, ein fremder Mann.“ Und ich wollte direkt einsteigen. Und er wurde dann direkt beleidigt, als er gemerkt hat, dass sie ihm nicht vertraut hat. „Ach, was soll das! Was meint ihr denn, was ich mache?“ Dann sind wir hinterher doch in den Minibus gestiegen und der hat uns natürlich zur Jugendherberge dann gebracht.
Lisa: Und das war unser erster Teil zum Thema Leben im Ausland. Wenn euch dieser Podcast gefällt, würde ich mich sehr freuen, wenn ihr ihm in eurer Podcast-App eine Bewertung hinterlassen könntet und den Podcast mit euren Freunden teilen würdet. Bleibt gesund und bis bald!
Umgangssprachliche Ausdrücke
rausgehen / weggehen = hier: in Clubs bzw. auf Partys gehen
etwas wie die Pest hassen = etwas sehr schrecklich finden
hohe Hacken = Schuhe mit hohen Absätzen
(auf einmal) Klick machen = etwas plötzlich realisieren, eine Erkenntnis haben
nix = nichts
superleicht = sehr leicht
superfreundlich = sehr freundlich
geil = fantastisch, toll, cool, super
ganz schön schrecklich = sehr schrecklich, extrem schrecklich
unheimlich + Adjektiv / Adverb = sehr
(weit)ab vom Schuss sein = sehr weit weg sein, abseits des Geschehens liegen